Der CSD als Feindbild rechter und reaktionärer Kräfte
CSDs in der Bundesrepublik und auch in Baden-Württemberg wurden schon seit Beginn angefeindet. Am Stuttgarter Marienplatz gab es zum Beispiel jahrelang eine Gegen-Kundgebung der rechtskatholischen Piusbruderschaft gegen den CSD.
Trotzdem stellten die 2024 einsetzenden Neonazi-Mobilisierungen gegen CSDs eine neue Qualität in der Bundesrepublik dar.
Was durch die öffentliche Aufmerksamkeit für Nicht-Betroffene auch mehr sichtbar wurde, waren die alltäglichen Anfeindungen und Angriffe auf queere Menschen. Leider gehören queerfeindliche und transfeindliche Gewalt zum Alltagserleben von queeren Menschen.
Neonazistische Mobilisierung
Alle politisch aufmerksamen Personen zuckten zusammen als letztes Jahr am 10. August in den Nachrichten die erschreckenden Bilder aus dem sächsischen Bautzen auftauchten. 720 Neonazis trieben damals die CSD-Demonstration mit 1.000 Teilnehmenden geradezu vor sich her. Wir sprechen hier nicht über rechte AfD-Wähler*innen, sondern über echte Faschos, die Gewalt gegen Andersdenkende, Andersliebende und Andersaussehende als legitimes Mittel betrachten.
In einem sehr lesenswerten Zwischenfazit des Autor*innenkollektiv „Feministische Intervention“ (AK Fe.In) vom 20. August 2025 wird noch einmal auf die veränderte Lage eingegangen: „Ermuntert von der medialen Aufmerksamkeit und einigen Mobilisierungserfolgen im letzten Jahr, haben Neonazis die Online-Mobilisierung massiv hochgefahren und ihre Anti-CSD-Propaganda professionalisiert.“
So gab es auch dieses Jahr zahlreiche Neonazi-Mobilisierungen gegen CSDs.
Die bisher größte Anti-CSD-Mobilisierung fand im Bautzen am 10. August statt, wo 450 Neonazis 4.300 CSD-Teilnehmenden gegenüber standen.
In Baden-Württemberg war das Potenzial geringer. Am 14. Juni 2025 demonstrierten in Pforzheim etwa 90 Neonazis gegen 1.500 CSD-Teilnehmende, die zusätzlich von 350 Antifas geschützt wurden.
Christliche Rechte
In Pforzheim oder Stuttgart gab es darüber hinaus dieses Jahr rechts-christliche Kundgebungen, die sich mal mehr mal weniger offen gegen CSDs richteten. Die christliche Rechte ist in der Bundesrepublik gemeinhin schwächer als die extreme Rechte. Allerdings hat sie durchaus Mobilisierungs-Potenzial. So gelang es ihr 2014 bis 2016 bis zu 5.000 Personen auf ihre eigenen Demonstrationen, so genannte „Demos für alle“, gegen eine vermeintliche Frühsexualisierung und gleichgeschlechtliche Ehe zu versammeln.
Aus dieser Ecke scheint auch eine anonym initiierte Online-Petition gegen eine Regenbogenfahne und offizielle Unterstützung des CSD in Balingen zu stammen. Bisher wurde sie von über 300 Personen unterschrieben.
Der Queer-Gottesdienst heute morgen in Balingen hat aber dankenswerterweise gezeigt, dass es nicht die DIE eine christliche Position zu Homosexualität oder Queerness gibt, auch wenn die Fundis das einen gerne glauben machen möchten. Natürlich gibt es auch queere und homosexuelle Menschen, die gleichzeitig auch gläubige Christ*innen sind. Das muss kein Widerspruch sein. Ihnen und ihren Kämpfen innerhalb ihrer Kirchen und Gemeinden gehört unsere Solidarität.
Und die AfD?
Die AfD hält sich auf der Straße eher raus, auch wenn vereinzelt AfD-Mitglieder an dem Neonazi-Gegenprotest beteiligt waren. Wer genauer hinschaut, die merkt: Es herrscht eine Arbeitsteilung vor. Die AfD gibt den Ton in den Reden in den Parlamenten und im digitalen Bereich vor.
So posierten die Listenkandidat*innen der AfD für die Landtagswahl am 8. März 2026 in Baden-Württemberg geschlossen hinter einer so genannten Stolzmonat-Fahne. Die Stolzmonat-Kampagne richtet sich gegen den queeren Pride Month und wurde von einem rechtsextremen Youtuber begründet. Auch der AfD-Kandidat für das Amt des Ministerpräsidenten in Baden-Württemberg, Markus Frohnmaier, ließ sich grinsend mit einer Stolzmonat-Fahne ablichten.
Der in Baden-Württemberg ansässige AfD-Europaabgeordnete Tomasz Froelich forderte im Juli 2023 im Interview mit dem Podcast der „Jungen Alternative Baden-Württemberg“ ein Verbot des CSD wie in Moskau. Zitat Anfang: „Man sieht in Moskau keinen Christopher Street Day, der meiner Meinung nach in Deutschland verboten gehört.“ Zitat Ende.
Auch die AfD-Jugendorganisation machte sich diese Forderung bereits auf Twitter zu eigen.
CSD in Balingen stößt auf Widerstände
Nachdem im letzten Jahr mindestens 118 Neonazis gegen den CSD in Albstadt demonstriert haben, gibt es dieses Jahr keine angemeldete Gegenkundgebung. Kleine Anmerkung: Die kleineren Neonazi-Zahlen in der Presse für letztes Jahr sind falsch, da offenbar verschiedene Grüppchen jenseits der Kundgebung nicht mitgezählt wurden. Eine Auswertung durch antifaschistische Recherche ergab die höhere Zahl von 118.
Auch in diesem Jahr gab es durchaus verschiedene Anfeindungen gegen den CSD in Balingen. In einem Interview erzählt einer der Mitveranstalter des CSDs von Hass-Nachrichten online und per Post, die Mitglieder des CSD-Orga-Teams erhalten würden.
Das der Gemeinderat sich mehrheitlich zusammen mit dem Balinger Bürgermeister Dirk Abel von der CDU gegen eine Regenbogenflagge am Rathaus stellten, betrachten wir als aktive Entsolidarisierung mit queeren Menschen im Zollernalbkreis. Der feige Verweis auf eine Neutralität überzeugt nicht.
Ein Schritt zurück und ein Schritt nach vorn
Doch es ist nicht alles aussichtslos. Es muss deutlich betonte werden, dass bisher bei den CSDs die Neonazi-Gegenmobilisierung von einer weitaus höheren CSD-Beteiligung überboten wurde. Selbst in Bautzen wurden die Braunen von den Regenbogen-Bunten outnumbered.
Wir leben in einer Zeit der Gleichzeitigkeiten. Einerseits gibt es seit zwei Jahren eine neue Qualität an Neonazi-Mobilisierungen gegen den CSD. Die AfD und ihr Umfeld initiieren queerfeindliche Kampagnen. Die CDU-Ministerin Julia Klöckner untersagte Regenbogenfahnen auf dem Bundestag wie in den letzten Jahren sowie die Teilnahme der queeren Gruppe der Bundestagsverwaltung am Berliner CSD. Der Bundeskanzler Merz verteidigte die Ministerin gegen Kritik und sprach davon, dass der Bundestag kein „Zirkuszelt“ sei. Hinzu kommt eine Entsolidarisierung, auch durch Finanziers, die sich dem von Trump ausgerufenen „War on Woke“ unterworfen haben.
Andererseits gibt es immer mehr neue CSDs, auch in der Provinz. Der CSD in Albstadt war der erste im Zollernalbkreis und der heute ist der erste in Balingen. Außerdem gibt es an vielen Orten neue oder verstärkte Bündnisse zwischen Queers, linker Zivilgesellschaft und Antifas.
Zum Schluss: Passt bitte auf euch auf. Bewegt euch zum Selbstschutz in Gruppen. Wenn etwas vorfällt, dann wendet euch am besten an die „Leuchtlinie“, die Beratungsstelle für Betroffene rechter Gewalt, oder an die „Antidiskriminierungsstelle Zollernalb“.
Aber vor allem: Habt Spaß und bringt den Glitzer in diese Kleinstadt, den sie dringend nötig hat!
 
			




